Dienstag, April 16, 2024
   
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Technische Lösung gegen die Spielsucht

Meiner bescheidenen Meinung nach gibt es keine technische Lösung gegen die Spielsucht. Das Gelaber vom Spielerschutz ist auch eher irreführend.

Es ist nun einmal so, dass Spielen einen gewissen psychischen Zustand hervorruft, einen schwer zu beschreibenden Kitzel, den hoffentlich jeder hier irgendwie kennt. Das ist es ja erst, was ein Spiel interessant macht -- das Spiel selbst kann sogar ziemlich dröge sein. (Kann es etwas uninteressanteres als Roulette oder das deutsche Zahlenlotto geben?) Die Ausschüttung gewisser körpereigener Substanzen, während man im Kopfkino des Spielens Platz genommen hat, ist für die Mehrzahl der Menschen angenehm und entspannend, und nichts ist daran verwerflich. Für einen großen Anteil der Menschen ist darin kein besonderes Problem, ebensowenig wie im Besuch des Fußballstadions (eine andere Form des eher körpereigenen Rausches) oder im Trinken eines Glases Bier (ein durch den Wirkstoff Alkohol getriggerter, eher extern bedingter Rausch).

 

Einige Menschen vertragen gewisse Rauschmittel hingegen sehr schlecht, ich bin zum Beispiel Alkoholiker und kann nicht einfach ein Glas Bier trinken, ohne dass das gewisse Konsequenzen hat.

(Nur, um das klarzustellen: Ich bin schon sehr lange trocken und werde es mindestens heute auch bleiben. Und morgen ist ein neuer Tag mit neuen Herausforderungen an meine kleine, süße Psyche, und ich werde auch morgen versuchen, trocken zu bleiben. So formt sich Tag um Tag wie von allein zu ganzen Jahren, und neben vielen Lastern hat das Leben eben auch eine Last -- wie wohl jedes Leben seine Last hat. Es ist eigentlich einfach, damit zu leben, aber es ist nicht immer leicht.)

Was unterscheidet diese beiden Gruppen von Menschen voneinander, die einen, die problemlos eine Form des Rausches genießen können (und Zocken ist, wenn es Spaß macht, durchaus rauschhaft), und die anderen, denen kein vernünftiger Umgang möglich ist? Ich weiß es auch nicht. Es muss etwas in der körperlichen und psychischen Konstitution sein, was dazu führt, dass die einen Menschen (es mag durchaus ein Zehntel sein) in bestimmten Situationen ein voll ausgeprägtes Suchtverhalten gegenüber Substanzen und Situationen zeigen, die von den anderen Menschen ohne größere Schwierigkeiten genossen werden können. Nur das könnt ihr mir glauben: Es handelt sich in der Regel nicht um Dummheit oder Charakterschwäche. Auch, wenn Nicht-Betroffene das allzuleicht so sehen...

Und? Sollte ich mich jetzt hinstellen und die deutsche Volksdroge Nummer Eins, den Alkohol, verteufeln -- einschließlich des gepflegten Bieres, das den meisten Menschen kein Problem bereitet? Wenn ich ein Problem mit Alkohol (oder vielleicht besser: ohne Alkohol) habe, bin ich zunächst selbst gefordert, wobei Einsicht die wichtigste Voraussetzung für ein einigermaßen vernünftiges Handeln ist. Ich betrachte meinen eigenen Alkoholismus schlicht als eine Form der Allergie, und ich handele kein bisschen anders als jeder andere Allergiker auch, indem ich die schädliche Substanz zu meiden trachte.

Käme jetzt irgend jemand auf die Idee, man muss eine Sperrliste für Kneipen und den Alkoholverkauf einrichten, eine Infrastruktur für die Authentifizierung mit einem Ausweispapier aufbauen oder dergleichen anderes? Hier wäre sofort klar, dass es sich um einen Eingriff in Freiheitsrechte handelt, und die Forderung wäre schlichterdings absurd.

In der BRD (und eigentlich sogar in der ganzen westlichen Welt) stehe ich einer bemerkenswerten Doppelmoral gegenüber. Es ist hier nicht nur so, dass es legale und illegale Rauschmittel gibt, es ist auch so, dass die legalen Rauschmittel noch einmal unterteilt werden in solche, die mit einem Warnhinweis versehen sein müssen und zum Teil nicht öffentlich beworben werden dürfen (Tabakprodukte), und in solche, deren Benutzung durch aufwändig produzierte und sogar vom quasi-staatlichen Fernsehen ausgestrahlte Reklame jeden Tag als Inbegriff des Genusses und der Lebensqualität hingestellt werden (Alkohol). Dabei geht es weniger um gesundheitliche Gefahren oder auch nur Kosten für das Sozialsystem, denn die mittelbaren Alkoholopfer sind eine wirklich erkleckliche Zahl, und gerade die "Passivsäufer", diese ganzen vernachlässigten Kinder, geprügelten Ehepartner und zerbrochenen Beziehungen verursachen oft langjähiges Leiden, das zu Folgekosten führt, die nach meinem Wissen noch niemals jemand zu erfassen gesucht hat.

(Warum wohl nicht? Die goldene Regel der Wissenschaft und Kunst ist ganz einfach: Wer das Gold hat, der macht die Regel.)

Diese Doppelmoral geht keineswegs mit einer Aufklärung für Süchtige einher, die ihnen vielleicht sogar zu einem vernünftigen Leben mit der Sucht verhilft. Anstelle der Aufklärung wird die Angstmache vor den Folgen der Sucht gesetzt; je größer die Schockeffekte, desto besser wird der Zweck erfüllt. Und ist in einem bestimmten Punkt genügend Angst ausgebreitet worden, werden gesetzliche Zwangsmaßnahmen durchgesetzt, die dann bei aller ihrer Absurdität als "vernünftig" verkauft werden, als ob Angst etwas "Vernünftiges" hätte. Der betroffene Süchtige wird während dieses ganzen Prozesses mit seiner Last allein gelassen und schon in diesem einen Punkte zeigt sich auch, dass es um ihn gar nicht geht. Was die in missverstandener Wildwest-Romantik Lucky Strike, Camel und Marlboro quarzenden US-Bürger in zwei Jahrzehnten in (sorry, aber es juckt mich) kryptofaschistische Gesundheitsfanatiker im Kampf gegen den Satan des Rauchens verwandelt hat, das war eine einzig auf Angstvermittlung basierende Kampagne, die irgendwann auch zu entsprechenden Gesetzen führte. Nur eben zu dem einen Gesetz nicht, das jeden Handel mit Tabakprodukten verbietet -- warum eigentlich nicht? Bei anderen, nicht tödlichen Rauschmitteln wie Psilocybin oder Tetracannabinol versucht man doch auch, potenzielle Konsumenten mit einem strafbewehrten Verbot zu "schützen".

Ich glaube, dass hier jedem klar ist, dass der einzige Grund für die gesetzliche Unterscheidung verschiedener Räusche keine "vernünftige" Erwägung ist, sondern eine Erwägung der Durchsetzbarkeit auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Verbreitung und der Lobbyarbeit gewisser Interessenverbände. Alles andere p'litische Reden ist Blah, der zumindest von mir die verdiente Verachtung erfährt und seinen Redner als Idioten oder Lügner qualifiziert.

Spielen ist nun einmal ein verbreitetes Bedürfnis, was sich allein in der breiten Rezeption der angebotenen Spiele zeigt. Ich habe einmal gehört, dass jeder zweite erwachsene Bundesbürger regelmäßig Lotto spielen soll -- offenbar sind auch einfache Glücksspiele mit der Möglichkeit, für seinen Einsatz einen Geldgewinn zu erzielen, sehr beliebt. Es ist schlechterdings nicht möglich, Glücksspiele zu verbieten. Das von einem Verbot geschaffene Vakuum würde sofort mit kriminellen Angeboten gefüllt, bei denen die Spieler erst so richtig beschissen und auch erst so richtig zu ungesund hohen Einsätzen verleitet würden.

(Irgendwie muss ich gerade an Schweden denken, wo eine sehr restriktive P'litik mit dem Rauschmittel Alkohol gepflegt wird. Vor ca. 20 Jahren war ich dort und war erstaunt über die künstlich hohen Preise für meine Lieblingsdroge, die eine große Hemmschwelle aufbauen sollten. Und, was habe ich als Folgen erlebt? Der schwarzgebrannte Fusel, den ich dort gesoffen habe, war so ziemlich das übelste, was ich mir je reingekippt habe -- ich muss froh sein, dass ich mein Augenlicht noch habe. Und wie die Tiere haben die Leute da so ein Zeug in sich reingekippt.)

Die Aufgabe des Gesetzgebers in einer solchen Situation kann es nur sein, einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Dieser sollte das Suchtpotenzial des Spieles entschärfen, Manipulationen von Spielgeräten vorbeugen und zu Spielgeräten führen, die für den Spieler transparent (im Sinne von durchschaubar und verständlich) sind. Die ersten beiden Punkte liegen in der politischen Verantwortung, soziale Missstände und Kriminalität nicht zu begünstigen, der dritte Punkt ermöglicht erst dem Spieler einen verantwortlichen Umgang mit den Spielangeboten.

Die ältesten Formen der Verordnungen für die Gestaltung von Spielgeräten haben dieses Streben deutlich gezeigt.

In wie weit die gegenwärtige Spielverordnung -- gemessen an diesen Punkten -- schlecht ist, kann hoffentlich jeder sehen, der Augen im Kopf hat. Überall verfügbare Spielgeräte können immer noch mit ekstatischen Riesengewinnen locken und dabei zu ungesund hohen Einsätzen verleiten; die vorgeschriebene Implementation nicht-zufälliger Spiele in Software macht heimtückische und praktisch unentdeckbare Manipulationen eben dieser Software möglich und eine Durchschaubarkeit des Spieles aus Spielersicht gibt es nicht.

Das ist der eigentliche Sprengstoff, der letztlich auch eine ganze Branche gefährdet. Da draußen sitzen nämlich viele Leute herum, die gar nichts vom Problem verstehen und ihrer Zeitung (oder ihrer Glotze) allzu gläubig sind. Und heutige Journalisten werden nicht mehr dafür bezahlt, dass sie komplexe Zusammenhänge aufschließen und Menschen auf diese Weise eine Meinungsbildung ermöglichen, sondern dass sie leicht verdauliche und runtergekürzte Infohäppchen für den Hunger des hirnfreien Stammtisches produzieren. Am Ende kommt dann raus: Spielhallen verursachen Spielsucht. (Und in Presseprodukten, die sich "seriös" geben, heißt es etwas ausführlicher, dass mit dem Anstieg der Spielhallenlizenzen auch die Anzahl der Spieler gestiegen sei, die einer psychologischen Hilfe bedürfen, da sie ihr Spielverhalten nicht steuern können -- nebst Infokasten mit Text eines Lach- und Sachverständigen und tendenziös herausgepicktem Einzelfall. Ja, ich meine Spiegel und Focus.)

Vielleicht fordert man dann wirklich irgendwann Zugangsbeschränkungen, Ausweiskontrollen und damit verbundene weitere Kosten und technische Infrastrukturen für Automatenaufsteller. Gegen den gesamten Problemkreis der Spielsucht hülfe das ungefähr so viel, wie es bei einer Sturmflut hülfe, die Nordsee mit einer Eimerkette leerschöpfen zu wollen. Es wäre hilflose Symptomflickerei, die nichts bringt und um Jahre zu spät kommt. Die einst errichteten, schützenden gesetzlichen Dämme gegen jene Anreize im Spiel, die besonders attraktiv für Suchtspieler sind, sie sind nicht angepasst worden, sie sind schon längst geborsten.

Eine gute Nacht!

 

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