Freitag, April 19, 2024
   
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Kontrollverlust

Er beginnt schleichend.

Es ist kein Einzelereignis. Jeder Spieler hat schon einmal einen Kontrollverlust erlebt, da bin ich mir sicher. Jeder hat schon einmal mehr verzockt, als er wollte; und wohl jeder hat schon einmal auf die Risikotaste gedrückt, obwohl er die Unvernunft darin bemerkte und eigentlich froh über den Gewinn war, den er da aufs Spiel setzte. Vielleicht hat der eine oder andere im Zuge eines solchen Kontrollverlustes sogar einen ordentlichen Gewinn erzielt. Die Möglichkeit, dass es zu einem Kontrollverlust kommen kann, gehört erst zu jenen psychischen Gegebenheiten, die das Spiel interessant machen. Eine Kiste, die einen kalt lässt, ist eben auch langweilig.

 

(Das ist ja der Grund, weshalb ich nicht mehr an den Dingern zocken will. Nicht etwa, dass ich eine besonders tiefe Einsicht in den Unsinn des Münzspieles geschnüffelt hätte und plötzlich Einsicht über Lust stellen würde, sondern einfach nur, dass diese Spieler verarschenden Abzock-Computer mich völlig kalt lassen. Ich wünschte mir, es ging jedem so -- denn würden sich die jüngeren Exzesse im Beschiss des Spielers ganz schnell wieder einrenken und wir bekämen vielleicht auch wieder ein "kleines Spiel", das relativ harmlos ist und dennoch Spaß macht.)

Es gibt keine klare Grenze zwischen Sucht und dem "harmlosen" Genuss eines Rausches. Es gibt natürlich Menschen, bei denen man die Sucht sofort erkennt, weil ihnen alles andere in ihrem Leben egal wird -- diese sind aber Extremfälle. Die meisten Süchtigen (und nicht nur Spieler) fallen über Jahre hinweg anderen Menschen nicht auf, nicht einmal in ihrem Suchtverhalten -- die Sucht ist ein einsames Leiden. Da ist keine scharfe Grenze. Es handelt sich um einen psychischen Prozess, der von außen kaum zu erkennen oder zu beurteilen ist. Diese immer wieder zu findenden Listen mit 10 oder 20 Fragen, an denen man selbst erkennen soll, dass man süchtig sein könnte, sind bestenfalls ein kleines Hilfsmittel, das die Einsicht des Betroffenen unterstützt. Denn die Einsicht des Süchtigen, dass er bestimmte Dinge nicht verträgt, dass er darauf in einer Weise "abfährt", die für ihn selbst schädlich ist, die kann durch nichts ersetzt werden -- und nichts anderes trägt das Potenzial in sich, dass der Süchtige lernt, mit seiner Sucht verantwortlich zu leben. Und das muss er, wenn er darin nicht untergehen will. Wichtig können solche Hilfsmittel dennoch sein, weil ein Suchtkranker -- ich weiß das noch aus eigener Erfahrung -- ein ganze Gerüst des Selbst-be-tru-ges (das B-Wort wird hier im Forum "zensiert", deshalb die Schreibweise mit Bindestrichen) um seine Sucht aufbaut, um die Wirklichkeit dieses Zustandes nicht wahrhaben zu müssen.

Es gibt allerdings Räusche, die ein größeres Suchtpotenzial als andere in sich tragen. Etliche Menschen haben irgendwann einmal eine einzige Zigarette geraucht und doch nie wieder das Bedürfnis dazu verspürt -- aber nur wenige Menschen haben Heroin genommen, ohne erneut das Bedürfnis zu spüren, und das oft auch sehr drängend. Da liegt ein qualitativer Unterschied zwischen den Rauschmöglichkeiten, der von der Vernunft fordert, dass man vor gewissen Räuschen einen großen Respekt und damit eine große Vorsicht entwickele.

Es ist kaum vorstellbar, dass die alten Groschengräber zu einer Spielsucht führten, sie waren langsam und machten es durch ihre relativ kleinen Gewinnmöglichkeiten unattraktiv, größere Mengen Geldes zu investieren. In keiner Phase des Spieles wurde der Spieler so vollständig vom Spielgeschehen aufgesogen, dass die Benutzung des Verstandes erschwert gewesen wäre. Und das Spielgeschehen war für den Spieler nachvollziehbar, es handelte sich um das Hervorrufen eines zufälligen Ereignisses an einem mechanischen oder elektromechanischen Gerät. Man neigt fast dazu, diese Geräte für harmlos zu halten, sollte dabei aber nicht die höhere Kaufkraft eines Groschens und das geringere Lohnniveau in den Fünfziger Jahren vergessen.

Es ist aber eben so leicht erkennbar, dass die heutigen Geräte mit ihrem schnellen Spiel, ihren hohen Gewinnangeboten, ihrer multimedialen Spielbegleitung und ihren auf Casino-Niveau liegenden Einsatzmöglichkeiten viel eher dazu "gebaut sind", eine vernünftige und bewusste Reflektion beim Spieler zu unmöglich zu machen. Sicher, das macht das Spiel auch "interessanter", es gibt ihm mehr von der psychischen Substanz, die eben auch einen Rausch mit körpereigenen Stoffen hervorruft, aber es trägt eben auch ein größeres Suchtpotential in sich -- die Grenze zwischen dem harmlosen Genuss eines kleinen Rausches und der Sucht verschwimmen in solchen Spielen so sehr, dass jedes Nachdenken darüber erschwert wird.

Um diese Entwicklung, die nach ihrer Ausarbeitung von so genannten "Sachverständigen" vom Deutschen Bundestage durch kollektives Handaufheben gewünscht wurde, jetzt ein paar andere Restriktionen zu bauen, ist einfach nur dumme Symptomflickerei und Doppelmoral. Und eine Journaille, die solche Forderungen immer wieder durch gezielte, grelle Schlaglichter aufkommen lässt, statt ihren Lesern die Zusammenhänge zu erschließen, ist genau so dumm. Und sie macht ihre Leser dumm.

(Würde der Pressebetrieb die Leser nicht dumm machen, könnten die Leser womöglich noch bemerken, wer hier die P'litik bezahlt -- das liegt nicht im Interesse eines einzigen Verlegers der Milliardärspresse in der BR Deutschland. Die so genannte "Pressefreiheit" war immer nur eine Freiheit für eine relativ kleine Clique reicher und einfluss-reicher Menschen, ihre Meinung medial als journalistische "Objektivität" zu verkaufen.)

Übrigens und zum Abschluss der ganzen Weitscheifigkeit und -schwafeligkeit: Jeder Versuch, menschliche, soziale und gesellschaftliche Probleme auf rein technische Weise zu lösen (das gilt auch für die tollen Karten, die man hier jetzt überall in Zigarettenautomaten schieben muss), ist so etwas von stunzdumm, dass mir die Worte fehlen, wenn so etwas auch noch ernst genommen wird. Hat die zwangsweise Spielpause nach einer Stunde Spiel irgendetwas gegen die damit angeblich bekämpfte "Sucht" bewirkt? Wenn die Dummheit nicht so fürchterlich weh täte, könnte ich darüber nur lachen. Es ist leider unmöglich geworden, die Flut von Bullshit, in der jedes Denken erstickt, richtig zu stellen, denn dazu gehört, anders als zum Lügen, geistige, gedankliche Tätigkeit.

Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Weihnachtsgans?

Was man in den Trichter tut. Den Menschen muss man erst mit eingängigen Lügen stopfen, bevor man ihn so richtig ausnehmen kann.


 

 

 

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