Schulze, Gert W.
Nach dem Krieg stand der Fliegeroffizier Gert W. Schulze wie alle jungen Männer vor dem Nichts. Mit "kleinem Handgepäck" überquerte er mit seiner Frau Sigrid die damals noch "grüne Grenze" und kam nach Braunschweig. Mit wenigen alten Automaten begann er mit der Dynamik und Ausdauer, die seinen beruflichen Weg kennzeichnen. Da es 1949 keine Händler von Automaten gab, eröffnete er einen Handel, denn es sollte und mußte ja weitergehen.
Neben der Gastwirtsaufstellung und dem Handel in anfangs kleinem Umfang, eröffnete er auch zwei Spielhallen, die einen ebenso guten Start hatten, wie Löwen-Automaten-Nachrichtendienst, - der Vorgänger des Automaten-Marktes. Denn Gert W. Schulze hatte nicht nur ein lachendes sondern auch ein scharfes Auge. Gerade im Aufbau im Automatengewerbe hatte er die Notwendigkeit der Kommunikation auch in der kleinsten Branche erkannt.
Mit dem Ausbau von Löwen-Automaten und dem Automaten-Markt, der immer sein Lieblingskind war, weil er sich dem Journalismus verbunden fühlte, erkannte er auch schon in diesen ersten Tagen die Bedeutung der Berufsorganisationen, weil ja unser Gewerbe in dieser Zeit sehr viel vom Wohlwollen oder der Willkür der Behörden abhängig war.
Der erste Verkaufserfolg von Löwen wurde das Fingerschlaggerät "Triumph" von Steiner. Und dann kam die glückliche Fügung des Zusammentreffens mit dem Techniker Wilhelm Menke, der das System eines Geldspielgerätes entwickelt hatte.
Mit seinem Kriegskameraden und Freund Herbert Nack, der mit ihm den Ausbau der Firma Löwen-Automaten vorangetrieben hatte und Wilhelm Menke gründeten diese drei Männer NSM als Produktionsstätte der ersten Rotamint.Unter fast handwerklichen Bedingungen wurden mit wenigen Leuten eine Produktion aufgezogen, die für alle im Automatengewerbe als großer Erfolg bezeichnet werden konnte. Das war 1952.
Mit Zähigkeit hatte Gert W. Schulze zur gleichen Zeit die ersten Verbandsgründungen vorangetrieben und mit ihnen bei der Regierung die Neuordnung des § 33 d erkämpft. Wer ihn damals schon kannte, weiß, dass das für ihn wohl der schönste Erfolg war, weil nun sein Automatengewerbe die erforderliche Arbeitsgrundlage hatte. Man wußte wie es weitergehen konnte.
Und mit dem Schwung dieser ersten vier Jahre ging es dann für ihn weiter. Erbaute in Bingen ein neues NSM-Werk, organisierte den Löwen-Vertrieb, um dem Kunden stets nahe zu sein. Gert W. Schulze kannte fast alle seine Kunden und suchte trotz seiner vielen Arbeit sogar den Kontakt zu ihnen.
Heinz Kästner nahm das 40jährige Jubiläum der Sigert Verlag GmbH 1996 zum Anlaß, seine Erinnerungen an den Gründer des Hauses, Gert W. Schulze, niederzuschreiben.
Ärmel hochkrempeln, anpacken - Gert W. Schulze war immer Sieger
Ein Vierteljahrhundert ungetrübter und intensiver Geschäftsfreundschaft und nahezu ebenso langes gemeinsames Wirken in den Berufsverbänden der Automatenbranche sind eine Fundgrube für vielfältige Erinnerungen an einen außergewöhnlichen Unternehmer und Verbandsführer, an dessen Lebensweg ich während diese Zeitraumes aus Nähe und Distanz teilnehmen konnte.
Kraftvoll-dynamisch mit vielen barocken Wesenszügen war er eine nicht alltägliche Persönlichkeit. Raumfüllend waren seine Erscheinung und sein Auftreten.
Unter einer hohen Bismarck-Stirn buschige Augenbrauen, weitgestellte blaue, immer blitzende, kritische aber vorherrschend fröhliche Augen. Mit ihnen konnte Gert W Schulze ohne Worte rügen, strafen, ablehnen. Die Gestik lebhaft, die Hände formend, neben dem Wort die Richtung weisend. Er war ein Gegenwartsmensch, lebte in seiner Gegenwart mit allen Sinnen.
Von seinen Erlebnissen im vergangenen Krieg als Luftwaffenoberleutnant und Kampfflieger hörte ich Gert W. Schulze nie sprechen. Ebensowenig von seinem Beruf als Journalist. Selten trug er den blauen „Nadelstreifen". Vielmehr bevorzugte er in Blautönen gehaltene einreihige, gut geschnittene Anzüge, einfarbige, helle Hemden. Damit den Politikern vorauseilend, die fernsehwirksam den sympathischen Ton dieser Farbe auch erkannt hatten.
Wenn er auf Sitzungen der Automaten-Aufsteller-Verbände erschien, genügte seine Gegenwart, um Diskussionen, um nicht zu sagen „Palaver" zu beenden und sachlich Entscheidungen zu treffen.
In Adaption an das bekannte CäsarWort: Er kam! Er sah! Er siegte! Sich selbst hohe Leistungen abfordernd, war er auch gegenüber Mitarbeitern ein strenger Zensor. Vor allem Betriebsangehörige der mittleren Führungsebene bekamen dies zu spüren. Sein Wort: „Gewogen und zu leicht befunden" beendete oft schon nach kurzer Zeit ein Arbeitsverhältnis.
Während mancher AMA-Sitzung war Gert W Schulze häufig der erste, der das Jackett auszog, dann aber im Unterschied zu den anderen Teilnehmern die Manschetten seines Hemdes aufknöpfte und die Ärmel zwei-, dreimal nach oben umkrempelte.
Für alle ein Zeichen: Gibt es Probleme, wir packen sie an!
Gern erprobte er auch die Trinkfestigkeit seiner Freunde und Gäste. Und er blieb immer Sieger. Den Freuden und Genüssen des Lebens war Gert W Schulze ebenso zugetan wie intensiver planerischer Arbeit. Meistens bis in die späten Nachtstunden.
Zur Automatenbranche kam Gert W Schulze nach dem Krieg durch eine Zeitungsanzeige meiner Firma Westav (Westdeutscher Automatenvertrieb), die neben dem Kauf von Kleinwarenautomaten Aufstellrechte auf Bundesbahnhöfen anbot. Schnell griff er zu, sicherte sich für den Reichsbahndirektionsbezirk Braunschweig diese Aufstellrechte und bestellte 100 Kleinwarenautomaten. Der Grundstein für eine geschäftliche und persönliche Freundschaft zwischen Löwen Automaten und Westav war gelegt und bewährte sich über Jahrzehnte.
Die Vorkriegsentwicklung der deutschen Automatenwirtschaft war durch Einschränkung und Verbote während des NS-Regimes praktisch zum Erliegen gekommen, Bomben und andere Kriegsereignisse hatten ihr übriges getan.
Gert W Schulze erkannte mit sicherem Blick die Chance dieses Brachlandes, und er nutzte sie. Aus Garagen, Kellern und Scheunen holte er eingelagerte Vorkriegsautomaten heraus. Für die Säuberung und Instandsetzung wurden bald die ersten Mitarbeiter gewonnen. Löwen Automaten besaß nun im Raum Braunschweig eine beachtliche UnterhaltungsautomatenAufstellung. Der Boß fuhr selbst mit einem Leichtmotorrad und umgehängter Aktentasche, die etwas Werkzeug enthielt, aber vor allem zur Aufnahme des Inkassos bestimmt war, seine Rufstellplätze ab. Seine Baskenmütze verlor er auch bei stürmischem Wetter nicht. Und sie wurde bald in dieser Aufbruchzeit sein Markenzeichen.
Die in Braunschweig damals ansässige Zulassungsstelle für Geldspielgeräte mit Warenbezugsmarkenauszahlung führte Hersteller nach Braunschweig. Damit ergaben sich zu diesen erste Kontakte. Alleinvertriebsabsprachen wurden getroffen. Das F ingerschlaggerät Triumph der Firma Steiner, Berlin, wurde über den LöwenVertrieb bundesweit ein gesuchter Kassenbringer.
Als Visionär erkannte Gert W Schulze die Notwendigkeit der Schaffung einer Branchenstruktur und deren Vertretung durch entsprechende Berufsverbände. Auf diesem Brettspiel der Branchengestaltung setzte er die ersten Steine durch Kontakte zu dem Vorkriegsjustitiar der Warenautomatenbranche, Rechtsanwalt Hyronimus.
Die Gründung von Landesverbänden für die Aufstellerschaft, die Gründung eines Großhandelsverbandes und eines Industrieverbandes lassen sich in vielen Bereichen auf seine Initiative zurückführen.
Bald meldete sich auch der Journalist in ihm zu Wort. Informieren, motivieren und auch kritisieren waren seine Leitgedanken.
Es erschien auch hektografiert der „Löwen-Automatendienst" mit der Unter-Überschrift „Private Fachnachrichten der Firma Löwen Automaten". Anerkennung, Zuspruch von allen Seiten waren so groß, daß bald die Geburtsstunde des „Automaten Markt" schlug. Aufrüttelnd waren seine redaktionellen Beiträge. Hersteller- und Großhandelsfirmen gaben Anzeigen auf. Die in der Zwischenzeit konstituierten Aufsteller-Landesverbände erklärten den „Automaten Markt" zu ihrem Fachorgan.
Fortan waren die redaktionelle Arbeit und der Inhalt von Leserbriefen auf die Forderung nach einer gewerbegesetzlichen Regelung für das Automatengewerbe, das bisher im gesetzlichen Niemandsland gestanden hatte, gerichtet. Ohne Rechtsgrundlage war die Aufstellung von Spielautomaten mit der Auszahlung von Warenbezugsmarken mehr als problematisch. Das Institut der polizeilichen Duldung konnte jederzeit widerrufen werden, und meistens erfolgte auch der Widerruf nach kurzer Zeit. Um Geldspielund Unterhaltungsautomaten in den Bereich der Freizeitwirtschaft einzugliedern, bedurfte es für Herstellung, Vertrieb und Aufstellung dieser Automaten klarer Rechtsgrundlagen. Sie wurden in mühevoller Kleinarbeit über die Arbeitsgemeinschaft Spielautomaten (AGS) und in der Folge über die Zentralorganisation der Automatenunternehmer in enger Zusammenarbeit mit den Wirtschafts-, Finanzund Familienministerien geschaffen. Auch hier war Gert W Schulze Initiator und treibende Kraft.
Seine immer wieder geforderte weise Selbstbeschränkung und Branchendisziplin verhütete größere durch Behördenmaßnahmen ausgelöste Rückschläge.
In Herbert Nack, ebenfalls aus dem Osten Deutschlands kommend, fand Gert W Schulze für den Löwen-Automatenvertrieb alsbald einen ebenso engagierten Mitarbeiter und Gesellschafter. Als dann Wilhelm Mencke als Konstrukteur eines ersten Dreischeiben-Geldspielgerätes zu diesem Duo fand, war die Grundlage für die Gründung der NSM (Nack-SchulzeMencke) Apparatebau GmbH gegeben. In zwei gemieteten Sälen einer Fabrikationshalle wurden die ersten heißbegehrten Rotamint-Record-Dreischeibengeräte mit Groscheneinwurf und 1-DM-Gewinn gebaut.
Trotz der guten personellen und steuerpolitischen Gegebenheiten des Zonenrandgebietes Braunschweig erfolgte der Sprung der Unternehmensgruppe nach Westen an den Rhein - nach Bingen. Hier entwickelte sich das Unternehmen NSM-Apparatebau GmbH dank der überragenden Konstruktionsideen des Herrn Wilhelm Mencke und der kaufmännischen Initiative der Herren Schulze und Nack zu dem weltweit arbeitenden und anerkannten Unternehmen, das der Branche neben einer Vielzahl der verschiedensten Geldspielautomaten, Musikautomaten von Weltruf bescherte und das heute neben diesen beiden Produktgruppen im Unterhaltungsautomaten-Sportbereich seit Jahren die Wandlung der Branche erkannt und genutzt hat.
In all den Jahren rastloser Aufbauarbeit für die Unternehmen Löwen Automaten und NSM und mit der zusätzlichen Bürde des langjährigen Vorsitzes im Industrieverband stand Gert W Schulze seiner Frau Sigrid immer verständnisvoll als guter Geist zur Seite. Die innige menschliche Verbundenheit, aber auch das gemeinsame geschäftliche Erleben von Sigrid und Gert fand ihren äußeren Ausdruck in der Namensgebung für den gegründeten Sigert-Verlag, in dem beide Vornamen zu einem einprägsamen Firmennamen verwendet wurden.
Der Name blieb fortbestehen, als Verlag und AUTOMATEN MARKT vor 40 Jahren abgekoppelt und als GmbH neu konstituiert wurden. Jetzt von Gesellschaftern getragen, die zu je einem Drittel aus Aufstellerschaft, Großhandel und Industrie rekrutieren.
Zwischen den drei NSM-Gesellschaftern, Nack-Schulze-Mencke, mag es, bedingt durch ihre unterschiedlichen Berufsgrundlagen und die anfängliche Trennung zwischen Löwen Automaten-Vertrieb als Großhandel und NSM-Apparate GmbH als Produktionsbetrieb, unterschiedliche Auffassungen, andere Zielsetzungen und vielleicht auch gelegentliche Konflikte gegeben haben. Gert W Schulze hat nie darüber ein Wort an Außenstehende verloren.
Ausgleich fand er für das vielseitige und kräftezehrende Engagement im Betrieb und in der Verbandsarbeit in seinen privaten Hobbys, dem Sammeln von Briefmarken und in seiner gärtnerischen Arbeit. Zunächst auf dem Gelände der Wohnungssiedlung des Betriebes und später in seinem Garten „Eden" auf Gran Canaria. Gelang es ihm, in Bingen im Treibhaus bereits Bananen zur Reife zu bringen, erfüllte sich später sein Traum von gestalteter Natur auf dem „Monte Leon" im subtropischen Klima.
Früh wurde der Sohn Ullrich D., von Freunden kurz Ulli genannt, vom Vater auf die Nachfolge vorbereitet. Einem Studium und der Gewinnung akademischen, kaufmännischen Grundwissens schlossen sich Volontär- und Ausbildungsphasen in deutschen und amerikanischen Unternehmen an. Die Wanderjahre im In- und Ausland ergänzten für „Ulli" die vom Vater ererbte unternehmerische Veranlagung in geglückter Symbiose.
Gert W Schulze würde heute auf seinen Ulli sehr stolz sein, zumal Uli D. Schulze nach dem Tode des Vaters dessen Konsolidierungsarbeit weitsichtig und zielgerichtet fortgesetzt hat.
Eine glückliche Hand hatte Gert W Schulze auch bei der Auswahl seiner ersten Bankverbindungen und seiner juristischen Berater. Zum Bankhaus Gebr. Löbbecke und zur Anwalts- und Notariatskanzlei Meyerhoff, beide Braunschweig, bestehen heute noch intensive Kontakte. Rechtsanwalt Meyerhoff war neben vielen anderen Vertragsgestaltungen der Unternehmensgruppe Löwen AutomaterVNSM auch für die des Sigert Verlages verantwortlich.
Der AUTOMATEN MARKT war, wie schon erwähnt, vor jetzt 40 Jahren mit einem Gründungskapital von 300000 Deutsche Mark paritätisch durch Anteilserwerb Eigentum der Aufstellerschaft, des Großhandels und der Industrie.
Mit zunehmender Bedeutung der EG gewann für Gert W Schulze auch die Vertretung der Automatenwirtschaft auf europäischer Ebene an Bedeutung. Zusammen mit französischen und italienischen Geschäftsfreunden gründete er die „Vereinigung der Verbände der Automatenwirtschaft in der EG" (VVA), deren Präsident er bis zu seinem Tode war. Die VVA ging einige Jahre später im „Euromat" auf.
Gert W Schulze hatte visionär Möglichkeiten und Struktur der deutschen Automatenwirtschaft erahnt und viele von ihnen zur Realität werden lassen. Im Oktober 1974 starb Gert W Schulze unerwartet und für uns alle viel zu früh. Sein Geist aber lebt in unserer Branche fort.