Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

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hab_noch_dm
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Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von hab_noch_dm »

Ich bin zufällig über einen Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern gestolpert.
Vielleicht hat ja Jemand gefallen an dem Filmchen.
Es ist ein ganz schön heftiger Zeitsprung!
Die Doku geht um die 40 Minuten, ist interessanterweise etwas sarkastisch / kritisch im Ton, aber zeigt doch viele Details auch gerade über die revolutionäre Paketkommissionierung, und die Denke des Firmeninhabers G. Schickedanz und seiner Gattin, die bis zuletzt, als der Laden schon ganz tief den Bach runter war, noch versuchte bei den inzwischen Global agierenden Managern mitzumischen. Wie das Ausging, wissen wir ja.



Einige Anmerkungen von mir:

Quelle war einst - neben Grundig - der grösste Arbeitgeber in Fürth.

Meine Oma hat dort, in dem Zeitraum der Filmaufnahmen, als Buchhalterin gearbeitet - auch nach dem sie in Rente ging, hat sie ab und an dort ausgeholfen.

Meine Mama hat ebenfalls in den 60/70ern als "Datentypistin" zur Aushilfe gearbeitet, jene Abteilung, die wie in Film zu sehen, die Kundenbestellungen in den Rechner übertragen, also digitalisiert hat.
Ob man sie dort arbeiten sieht - ich weiss es nicht, und meine Mama kann ich nicht fragen, sie sieht nichts mehr…
Sie hat erzählt, daß - wie im Film erwähnt - Leute zur Hauptsaison (vor Weihnachten, z. B.) tatsächlich mit dem Bus angekarrt wurden, auch aus der Oberpfalz, 2 Stunden einfache Fahrt waren da keine Seltenheit.
Aber die Gründe waren – anders als im Bericht erwähnt – nicht „das Arbeiten in der Stadt“, sondern das gute Geld, das man sich da verdienen konnte. Die (ausschließlich) Mädels arbeiteten im Akkordlohnverfahren.

Auch meine Schwester war mit dem Quelle-Konzern verbunden: Erst mit ihrer Ausbildung und später dann in einem Auslieferungslager in Bochum(?).
Das wurde dann ja irgendwann von DHL übernommen: Das Chaos dort wurde ihr dann zuviel, sie hat sich in Elternzeit geflüchtet und wohnt nun wieder in ihrer Heimat Franken.
Wenn man bedenkt, wie sich die Logistik in den Jahren verändert hat: Das Logistikzentrum Leipzig war wohl das grösste und modernste seiner Art. Vor den reitenden Kriegerfrauen, den Amazonen, wohlgemerkt.

Zu sehen in dem Video ist - ziemlich am Schluss - das sehr lange Gebäude an der Fürther Strasse in Nürnberg.
Kleine Strassenbahnkunde: Im Vordergrund zu sehen ist die Strassenbahnhaltestelle Eberhardshof der Linien 1 und 7, später dann Haltestelle der U1. Nach dieser Haltestelle führt die Strecke über zwei Haltestellen als Hochbahn (aufgeständert über der Strasse), das ist auch heute noch so.
Neu ist, daß die U-Bahn in Eberhardshof aus dem Nürnberger Untergrund auftaucht, und nach der Haltestelle Stadtgrenze in den Untergrund von Fürth verschwindet.
Die Strecke verläuft ziemlich genau auf der Trasse der ersten deutschen Eisenbahn, zwischen N und FÜ.

Es beherbergte ein Quelle Kaufhaus, das Warenlager, die Kommissionierung und den Paketversand.
Kuriosum: der Platz reichte - wie im Video von Herrn Schickedanz befürchtet - tatsächlich auch hier nicht aus (wobei im Video die Errichtung des Langwasser Photo Quelle Standortes erörtert wurde). Eine Expansion direkt am Standort war nicht möglich.
Also wurde von dem Hauptgebäude entlang der Bahnlinie Nürnberg-Fürth eine Förderstrecke zu einem mehrere Hundert Meter weiter entfernt gelegenen, neuen Versandgebäude errichtet. Auch eine 4 Spurige Strasse musste überquert werden. Das Band lief schliesslich auch durch ein Wohngebiet. Obwohl dieser Transportweg komplett eingehaust war, wurden doch immer wieder Waren von dort entwendet. Da halfen auch keine Kameras, die das Gebilde überwachten.
Der grosse Gebäudekomplex steht seit langem leer (die zwischenzeitlich eingemieteten Künstler und andere Freischaffende wurden kurzerhand entmietet), und unter Denkmalschutz.
Das erschwert die Projektentwicklung dort erheblich – die Immobilie hat wohl schon mehrere male den Eigentümer gewechselt. Es soll nun – so die Planungen – als „The Q“ doch endlich etwas realisiert werden.
Nebenbemerkung: Lustiger Name für einen Franken: „Die Kuh“…

Das oben erwähnte Foto Quelle Gelände wurde wohl nie ganz ausgebaut, an das Grundstück grenzt der Nürnberger U-Bahn Betriebs- und Werkstatthof.
Ins vorhandene Gebäude zog dann die Küchen Quelle „Megastore“ ein, nun ist dort der Standort von ABB Gossen Metrawatt (Ich glaube, die Firma gibt es in der Form jetzt auch schon nicht mehr).

Erwähnenswert finde ich die Einstellung über die Qualitätsprüfung der Waren.
„Eine Mark an Prüfkosten sparen 10 Mark an Reklas“? War das nicht so ähnlich?
Heute werden die Produkte beim Kunden getestet…
Ich hatte mal gehört, das die Ansprüche der QS so streng waren, daß eine ganze Waren-Charge zurückging, wenn in Stichproben EIN defektes / mangelhaftes Produkt gefunden wurde.

Das Verwaltungsgebäude in Fürth wurde Kernsaniert und beherbergt jetzt das Bayerische Landesamt für Statistik, Dienststelle Fürth.
A´ propos Verwaltung:
Angedacht war ein neuer Standort in Fürth. Das grosse Gelände war schon gekauft, zumindest aber in der Planung der Stadt fest vorgesehen. Nun hat sich dort unterschiedlichstes Gewerbe entwickelt – unter anderem von NORMA, dem Discounter, ein Warenlager und deren Verwaltung.

Zu den Katalogen: Die letzte Ausgabe wurde, nach längeren Verzögerungen und diversen "Zusagen", dann noch gedruckt und stand Auslieferbereit da. Dafür hat meine Nachbarin diverse Nachtschichten eingelegt, um das Druckerzeugnis rechtzeitig fertig zu bekommen.
Das Aus des Konzerns kam dann doch "über Nacht" - die Kataloge mussten eingestampft werden und die Druckerei blieb auf ihren Kosten wohl sitzen.

Wenn ich drüber nachdenke, fällt mit bestimmt noch mehr ein – ich lasse es jetzt aber mal gut sein.
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Gelöscht161
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Re: Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von Gelöscht161 »

Anfang der 2000er Jahre hatte ich auch einige male beruflich in Fürth mit dem Großversandhaus zu tun.
Offensichtlich hatte nach dem Tode von Gustsv Schickedanz seine Witwe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und das Unternehmen ging unter. Selbst Thomas Middelhoff konnte nicht mehr helfen.
Augenscheinlich ist Nürnberg/Fürth kein guter Standort. AEG, die Nürnberger Hercules-Werke, Zündapp, Trix, LGB, Fleischmann um nur einig zu nennen, alle heute platt oder von der Konkurrenz übernommen und nicht mehr vor Ort ansässig. Die wirklich riesige Produktionsstätte der Fa. Trix in Nürnberg in der Kreulstr., die ich Ende der 1980er-Jahre, als dort noch produziert wurde, einige Mal besuchte, ist heute abgerissen. Auf dem Areal wurden etliche Häuser mit Eigentumswohnungen gebaut.
Fazit:Nix los im bayerischen Frankenland. Nur die Burg und König Markus der I. sind geblieben. Ein örtlicher Fußballverein 2.klassig, der andere als Punktelieferant gern gesehener Gast in allen 1.Liga- Stadien und nächste Saiason auch wieder 2. klassig.

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GS33
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Re: Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von GS33 »

Ein toller Bericht. Vielen Dank, Uli.
Ich liebe solche Berichte. Ich habe mir über Quelle noch nie Gedanken gemacht. Ich wusste zwar, dass es das gab, und es gab bei uns auch Geschäfte, aber wir hatten niemals einen Quelle-Katalog zu Hause. Überhaupt wurde bei uns niemals etwas bestellt.
Es ist sehr interessant, welche Logistik da bewältigt wurde. Was für ein ausgeklügeltes System mit den Paternostern. Wenn die Menschen da noch ordentlich bezahlt wurden, ist das noch besser. Ich glaube, Quelle hat auch viel in der DDR produzieren lassen.
7000 3774

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hab_noch_dm
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Re: Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von hab_noch_dm »

Geloescht161 hat geschrieben:Anfang der 2000er Jahre hatte ich auch einige male beruflich in Fürth mit dem Großversandhaus zu tun.
Offensichtlich hatte nach dem Tode von Gustsv Schickedanz seine Witwe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und das Unternehmen ging unter. Selbst Thomas Middelhoff konnte nicht mehr helfen.
Augenscheinlich ist Nürnberg/Fürth kein guter Standort. AEG, die Nürnberger Hercules-Werke, Zündapp, Trix, LGB, Fleischmann um nur einig zu nennen, alle heute platt oder von der Konkurrenz übernommen und nicht mehr vor Ort ansässig. Die wirklich riesige Produktionsstätte der Fa. Trix in Nürnberg in der Kreulstr., die ich Ende der 1980er-Jahre, als dort noch produziert wurde, einige Mal besuchte, ist heute abgerissen. Auf dem Areal wurden etliche Häuser mit Eigentumswohnungen gebaut.
Fazit:Nix los im bayerischen Frankenland. Nur die Burg und König Markus der I. sind geblieben. Ein örtlicher Fußballverein 2.klassig, der andere als Punktelieferant gern gesehener Gast in allen 1.Liga- Stadien und nächste Saiason auch wieder 2. klassig.
Leider hast du in ALLEN Punkten recht.
Ausser, daß mit der 2. Liga nächstes Jahr für Fürth *HÜSTEL*.
Und mit Middelhoff - na ja.

Zu Deiner Aufzählung gehören noch Grundig, Metz, TA (Triumph-Adler), GAMA, etc, etc...

Die Krise in der Spielwarenindustrie hat sich teilweise auch auf die örtlichen Zulieferer ausgedehnt.

Manche dagegen haben nicht nur überlebt, sondern sind sogar zu Branchenführern geworden. Stichpunkt "bruder" bei mir um`s Eck, oder "Simba Toys" (Simba-Dickie-Group). Zu letzterem gehören ja jetzt deine oben aufgezählten Modelleisenbahnfirmen.
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hab_noch_dm
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Re: Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von hab_noch_dm »

GS33 hat geschrieben:Ein toller Bericht. Vielen Dank, Uli.
Ich liebe solche Berichte. (...)

Es ist sehr interessant, welche Logistik da bewältigt wurde. Was für ein ausgeklügeltes System mit den Paternostern.

Wenn die Menschen da noch ordentlich bezahlt wurden, ist das noch besser.

Ich glaube, Quelle hat auch viel in der DDR produzieren lassen.
Gerne!

Die Paternostertechnik...
Ja - damals hatten die Verantwortlichen noch den Mut, auch risikoreicheres zu wagen*.
Der Verlust wäre ja auf ihr eigenes Konteo (im wahrsten Sinne des Wortes) gegangen.

Die Bezahlung war gut**, denn sonst hätten die Unternehmen gar keine Leute gefunden, damals.
Denn helfende Hände wurden immer gesucht.

Fast alle Möbel von Quelle kamen aus der DDR.
Uhren sowieso, Elektrogeräte teilweise.

* Ich hatte mal einen Arbeitskollegen, der hatte vorher in einer Firma "mit den grauen Dübeln" gearbeitet.
Dort war er irgendwie in der Produkt-Entwicklung involviert. Der konnte auch von ziemlichen verlustreichen Nieten erzählen, an denen da so herumversucht wurde.
Egal- der Dübel hat`s bezahlt! :mrgreen:

** Auch wenn es jetzt vielleicht etwas arrogant klingen mag - so ganz kann ICH die Niedriglohnproblematik nicht verstehen.
Wenn mir jemand nicht genug bezahlen will, oder die Arbeitsumstände passsen nicht, gehe ich dort nicht hin. Fertig.
Wenn das ALLE machen würden, wären die Löhne und Gehälter auch nicht so im Keller.
Das Einzige, was ich beachtet habe: ich habe mich nie in finanzielle Abhängigkeit begeben (Familie, Urlaub, Auto, Haus).
Und manchmal muss ich meinen Gürtel enger schnallen, sehr eng sogar (fällt mir ja nicht schwer, ist ja genug Masse zum Quetschen da :mrgreen: ).
Aber dafür bin ich unabhängig.
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3GroschenMann
Beiträge: 1997

Re: Ein Bericht über das Versandhaus Quelle aus den 70ern

Beitrag von 3GroschenMann »

hab_noch_dm hat geschrieben:...Sie hat erzählt, daß - wie im Film erwähnt - Leute zur Hauptsaison (vor Weihnachten, z. B.) tatsächlich mit dem Bus angekarrt wurden, auch aus der Oberpfalz, 2 Stunden einfache Fahrt waren da keine Seltenheit.
Aber die Gründe waren – anders als im Bericht erwähnt – nicht „das Arbeiten in der Stadt“, sondern das gute Geld, das man sich da verdienen konnte. Die (ausschließlich) Mädels arbeiteten im Akkordlohnverfahren.
Das wird aber so heute noch praktiziert: Ama*** karrt heute noch haufenweise Auslieferungsfahrer und Lagerarbeiter durch Teile der Republik. Bei uns ist vor Kurzem ein neues Verteilzentrum eröffnet worden. Seitdem fahren mehrfach täglich ausgediente Linien(gelenk)busse die Hauptstrasse rauf oder runter Richtung Autobahn. Vorn steht dann zB dran: Winsen Ama***
Das sind auch 2h Fahrt, wenn man gut durch die Baustellen rund um den Elbtunnel kommt.

Nur: Wegen der "guten" Verdienstmöglichkeiten wird man das in diesem Fall wohl nicht machen ::113::
Gruß Florian


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